Unser Büro setzt sich aus einem Team von 9 Personen zusammen, Julia und mich noch nicht mit eingerechnet. Alle bis auf zwei sprechen Deutsch und Portugiesisch, was einen durchwegs recht lustigen Sprachmix ergibt der sich bei jedem Gespräch durch unser recht offenes Büro recht gut mitverfolgen lässt. Die Sprache wird teilweise bis zu dreimal innerhalb eines Satzes gewechselt. Das kann sich zB so anhören „…waren schließlich sehr zufrieden mit ihm e isso é que é importante“ oder „jetzt hat er wirklich entrou com um pé na porta“. Was am Anfang als kurios erschien ist mittlerweile normal :-).
Bus fahren
Auf dieses einzigartige Erlebnis darf man natürlich keinesfalls verzichten! Da die Busfahrer normalerweise recht großzügig beim Bremsen und Gasgeben sind und schon eine durchschnittliche Busfahrt die reinste Rumpeltour ist, muss man sich wirklich immer gut und vor allem permanent anhalten, sonst hagelt es blaue Flecken oder noch viel Schlimmeres. An einem Regentag war natürlich auch der ganze Boden im Bus nass und beim Raussuchen der Münzen hat der Fahrer kräftig Gas gegeben und ich bin auf dem nassen Boden natürlich weggerutscht – so schnell kann man gar nicht schauen. Das Ticket bezahlt man im Bus, jedoch nicht beim Fahrer sondern bei einer extra dafür zuständigen Person. Nach dem Bezahlen darf man das Drehkreuz passieren und sich setzen. In den Stoßzeiten quetschen sich unendlich viele Leute in den Bus, sodass gar niemand mehr hineinkommt und man sich auch oft nicht bis zur gewünschten Station in den hinteren Teil des Busses durchwursteln kann – unvorstellbar!
Einkaufen
Beim Einkaufen gilt offensichtlich immer: Nur keine Eile! Vor kurzem waren nur 2 Omas vor mit mit wirklich wenigen Sachen und ich dachte in 3 Minuten müsste ich doch aus dem Geschäft wieder draussen sein. Nix da! Die beiden haben das Führerscheinfoto von der einen begutachtet und gelacht und ewig lange mit dem Kassier geschäkert. Fürs Teekränzchen haben wirklich nur mehr der Tee und die Schnapskarten gefehlt! Ich habe auch bemerkt, dass viele Leute wenn sie in der Schlange stehen dann wieder die Sachen im Einkaufswagen aussortieren, im Sinne von „ach, die 3 Cola-Flaschen will ich doch nicht“ oder „vielleicht sind 4 Kilo Zucker doch zu viel“. Deswegen sieht man dann bei den Schütten vor der Kasse immer ganz viele verschiedene Produkte die irgendwie zusammengeworfen sind.
Flötenspieler
Auf den Flötenspieler, der sich nächtens in unserem Viertel herumtreibt hat mich erst Julia aufmerksam gemacht. Da läuft irgendjemand die ganze Nacht mit einer Flöte herum und im 10-Minuten-Takt höre ich dann vom Bad oder meinem Zimmer aus immer die gleichen zwei aufeinanderfolgenden schrillen Töne. Wer kann das sein? Jemand der unter Schlaflosigkeit leidet und anderen Leuten ihren Schlaf nicht gönnt???
Frühstück auf der Straße
Für alle, die zuhause keine Zeit mehr hatten zu frühstücken, gibt’s immer noch die Möglichkeit auf dem Weg zur Arbeit etwas zu konsumieren. Beim „Frühstücks-Tisch“ an dem wir jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit vorbeikommen wird von Kaffee bis Kuchen (und manchmal sogar gefälschten Markenuhren) alles angeboten. Beim Nachhausegehen werden an der gleichen Stelle dann gegrillte Fleischspieße vor Ort zubereitet und verkauft.
Gehsteig
Der tägliche Fußweg in die Arbeit stellt fast schon einen Hürdenlauf dar! In Brooklin gibt es zwar durchgehend Gehsteige, aber nach jedem Block ist klarerweise eine Straße zu überqueren (zur Info: die Straßen sind rasterartig angelegt und jeweils Einbahnen). Was den Fußmarsch aber so abenteuerlich macht:
- unzählige Hauseinfahrten von denen ganz unvermittelt Autos auf die Straße schießen
- die unleugbaren Anzeichen auf häufiges Gassigehen; alles Hinterlassene wegzuräumen scheint wohl seitens der Hundebesitzer als nicht üblich zu gelten, denn jeden Tag muss ich sicherlich 15 Mal Hundedreck ausweichen… qué pasada...
- weiß Gott wie viel Bäume, die die Betonplatten mit ihren Wurzeln aufgebrochen haben und durch die herumliegenden Steine und Brocken das Gehen erschweren
Geld wechseln
Generell werden Kreditkarten auch für sehr geringe Beträge akzeptiert und man braucht auch keinerlei Ausweis herzuzeigen (was zB in Spanien unerlässlich ist). Für Bus- und evtl. Taxifahrten, für Einkäufe auf Märkten und in kleineren Kiosks braucht man dann aber doch auch Kleingeld und das immer möglichst passend. Ansonsten ist es sehr wahrscheinlich, dass man hilflose Blicke des Verkäufers erntet, weil dieser das entsprechende Restgeld nicht herausgeben kann. Hebt man Geld ab (wegen der Gebühren ja immer gleich einen höheren Betrag), dann bekommt man ja immer gleich größere Geldscheine. Diese „loszuwerden“ ist oft gar nicht so einfach…
Gentleman
Recht ungewohnt für mich: beim Betreten eines Gebäudes, beim Einsteigen in den Bus oder in den Lift bekommen die Damen immer den Vortritt. Gegebenenfalls werden auch Türen aufgehalten. Eines muss man den Brasilianern lassen: sie sind wahre Gentlemen!
Haushälterin
In Brasilien ist es absolut üblich Hausangestellte zu haben. Personal für den Haushalt, die Kindererziehung und einen Chauffeur anstellen zu können bedeutet schon einen gewissen Status in der Gesellschaft zu haben. Eine Hausangestellte kümmert sich zum Beispiel täglich ums Kochen, hält das gesamte Haus bzw. die Wohnung in Schuss und macht auch die Wäsche – verdient aber erschreckend wenig für diesen oft Fulltime-Job. Die meisten wohnen am Stadtrand und in schlechteren Gegenden und nehmen täglich lange Fahrten auf sich (3 Stunden täglich ist keine Seltenheit) – und das für ein paar wenige Reais (brasiliansiche Währung).
Hunde
In meiner Wohngegend stehen viele kleinere Einfamilienhäuser die generell als weniger sicher als Wohnbauten gelten, welche über Wächter und Portiere verfügen. Aus diesem Grund hat wohl so gut wie jedermann einen oder mehrere Hunde. Die Unmengen Hundedreck und das tägliche brooklinsche Bellkonzert sowie lästiges Türkratzen wird aber natürlich aufgrund der erhöhten Sicherheit auch von mir gerne akzeptiert. Natürlich gibt es auch bei uns zuhause einen Hund: Gestatten?
Nina, 10 Jahre alt, wird alle 2 Wochen gebadet und bekommt danach üblicherweise 2 rote fragwürdige „Haar“-Spangen hinter die Ohren und ein glitzerndes, klebendes Etwas zwischen den Augen. Die Spangen gehen recht bald immer verloren, der Glitzersticker bleibt (siehe Foto).
Kaffee
Kaffee wird (als Kaffee-exportierende Nation) selbstverständlich sehr gerne getrunken, aber ganz anders: zwei Schlückchen schwarz sodass gerade mal der Häferlboden bedeckt ist, ohne Milch, aber mit sehr viel Zucker. Ich habe das bei meiner Vermieterin beobachtet: die hat dann etwa jede Stunde einen „Kaffee“ getrunken, was in Wirklichkeit ja mehr Naschen als irgendetwas anderes war. Die Geschmäcker sind eben verschieden :-).
Klimaanlage
Kaum wurde es endlich einmal warm, sodass man gemütlich im T-Shirt herumlaufen kann, wurden überall die Klimaanlagen aufgedreht. Im Shopping-Center ist es zum Beispiel viel zu kalt und man freut sich dann schon wieder, endlich wieder nach draußen ins Warme zu kommen. Für die Arbeit habe ich meist noch einen zusätzlichen großen Schal mitgehabt und mich darin eingewickelt – aber damit natürlich trotzdem meist noch recht gefroren. Verrückt, oder? Klimaanlage schön und gut, aber warum muss man sie nur immer auf so niedrige Temperaturen stellen?!
Müll
Auf den Straßen sieht man oft Leute, die riesige Holzkarren nach sich ziehen auf denen sich leere Kartonschachteln türmen. Diese Menschen fahren die Straßen ab, suchen nach Karton und Alu-Dosen im Müll und verkaufen diesen dann für einen bestimmten Kilo-Preis zur Wiederverwertung weiter. Wie so ein Karren aussieht, seht ihr auf dem Foto das ich einmal an einem Sonntag in der Früh aufgenommen habe. Dahinter auf dem Boden war übrigens gleich der Schlafplatz des Müllsammlers bzw. –trenners.
Nachnamen
Hier bekommt ein Kind normalerweise gleich zwei Nachnamen: den zweiten Nachnamen der Mutter und den zweiten Nachnamen des Vaters. Der „wichtigere“ Nachname ist aber der zweitere, also der vom Vater.
Plastiksackerl
Noch ein Einkaufserlebnis: Wenn man einkauft, dann nimmt man nicht etwa einen Korb oder eine Stofftasche oder das Plastiksackerl vom letzten Einkauf mit, sondern geht einfach mit mindestens 10 neuen Plastiksackerln raus, die aber allesamt nichts aushalten. Für 2 Liter Milch braucht man natürlich gleich 2 Sackerl, weil eines alleine bei der „Last“ schon durchreißen würde. Traurig... Den gesamten Müll schmeißt man dann ungetrennt in Plastiksackerl und stellt ihn auf folgende „Sammelanlage“, die auf Stelzen steht, damit der Mist vor Hunden sicher ist.
Regenwetter
Jetzt im Sommer ist ja Regenzeit und es ist normal, dass es täglich eine Stunde richtig stark regnet. In dieser Zeit hält man sich besser nicht draußen auf, denn nicht einmal ein sehr guter Schirm ist diesem „scheinbaren Weltuntergang“ gewachsen. Die niedriger gelegenen Gebiete in Sao Paulo sind auch regelmäßig überflutet, weil das Regenwasser gar nicht so schnell abrinnen kann. Da werden auch schon Autos komplett weggeschwemmt...
Speckerl
Mal zu etwas Lustigem :-). Die paulistanos, wie sich die Einwohner der Stadt Sao Paulo nennen, sind im großen und ganzen weder besonders schlank noch besonders dick. Was sie aber eigentlich meist gemein haben: sie ziehen meist viel zu enge Kleidung an! Bei Hosen scheint wohl die Devise zu ein: je kleiner die Hose ist, in die ich mich hineinquetsche, umso besser! Ob dann über dem Hosenbund unzählige Speckerl herausschauen und man das zu kurze T-Shirt über dem Bauch ständig (und erfolglos) hinunterziehen muss ist völlig egal, hauptsache man hat eine möglichst niedrige Hosengröße. So können auch Leute, die eigentlich eine gute Figur haben, auf einmal sehr unvorteilhaft aussehen.
Taxi fahren
Die armen Taxifahrer müssen wohl auch jeden Tag aufs Neue eine Engelsgeduld beweisen! So einen Job könnte ich glaub ich nicht einmal eine Woche aushalten! In unseren seltenen Taxifahren hat uns ein Fahrer gleich sein Österreich-Wissen demonstriert (Hans Krankl, klassische Musik, Schubert und Co.) und ein anderer hatte einen österreichischen Großvater. Wahrhaftig - Mayer ist sein zweiter Nachname wie ich dann auf seiner Visitenkarte gelesen habe...
Tudo bom? – Alles klar?
Bei jedem Telefonat, bei jedem Kontakt fragt man sein gegenüber „tudo bom?“ und ganz klar, dass die andere Person dann auch bestätigt, dass auch alles tudo bom also "alles klar" ist. Jedenfalls hab ich in den zwei Monaten niemanden sagen hören, dass nicht alles „tudo bom“, ist, was ja klarerweise nicht sein kann. Eine ganz rhetorische Frage nach dem Befinden also :-).
Unfall
Als Fußgänger muss man eines grundsätzlich verstanden haben: die Ampeln der Autofahrer schalten direkt von rot auf grün um (ohne das orange-farbene Licht). Wer als Fußgänger jetzt eine Straße überqueren will und denkt „ach, die Autos haben ja eh rot, ich geh schnell drüber“ der kann sehr schnell und folgenschwer überrascht werden, denn die Autofahrer schießen gleich weg sobald sie grün sehen. Gibt es keine Ampel und haben sie Vorrang so gilt: schnell beschleunigen und kurz vor der Kreuzung hupen, damit die Linkskommenden vorgewarnt sind. Vor drei Wochen wurde direkt bei der Kreuzung, an der unser Büro steht, eine Frau überfahren...
Verkehr
Es ist unglaublich, was für ein Krach und Betrieb auf den Straßen doch herrscht! Wenn man am anderen Ende der Stadt arbeitet, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man sogar über 2 Stunden in der Hauptverkehrszeit für die Heimreise im Auto braucht, weil man stundenlang im Stau steckt... und das bei für uns wirklich kurzen Distanzen wie zB 20 Kilometern! Wenn ein Bus an einem vorbeifährt, schwebt man für ein paar Sekunden in einer richtig schwarzen Nebelwolke – ohne Übertreibung! Flugzeuge ziehen ganz knapp über die Hochhäuser wenn sie den Stadtflughafen ansteuern und es wird einem gleich ganz anders wenn man die großen Flieger so ganz nahe vorbeiziehen sieht und hört. Vor ein paar Jahren ist übrigens ein Flugzeug tatsächlich in eines der umstehenden Hochhäuser gekracht...
Weihnachten
In weniger als vier Wochen ist ja nun schon Weihnachten! Kaum zu glauben, denn das einzige was wirklich daran erinnert ist das näherrückende Datum und die festlich geschmückten Einkaufszentren. In letzterem habe ich auch mein erstes Weihnachtslied dieses Jahr gehört: „Walking in a Winter Wonderland“. Klarerweise fällt hier grundsätzlich kein Schnee, schon gar nicht jetzt im Sommer ;-). Deswegen war ich auch recht verwundert über die vielen Schneemänner auf dem künstlichen Tannenbaum im Shopping Vila Olímpia…
Zahnspange
Hier tragen sehr viele Leute eine Zahnspange, aber nicht etwa nur Teenager, sondern auch Leute die schon „leicht“ über diesem Alter sind.
Zigarettenkonsum
Zu meiner großen Überraschung wird hierzulande fast nicht geraucht. Rauchen gelte als verpönt und Raucher stellen (im Gegensatz zu uns) eher die Ausnahme als die Regel dar. Mögliches Zusatzrezept: Rauchverbot in allen öffentlichen Lokalitäten, die ein Dach besitzen, also auch zB vor einem Restaurant das außen einen Teil überdacht hat darf nicht geraucht werden.
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